So, die Hälfte meiner Zeit in Haiti ist um, und ich glaube, es wird mal wieder Zeit für einen Versuch, das was ich hier alles erlebe in Worte zu fassen. Zwischen Kindern in gelben Uniformen und UN-Soldaten genieße ich jetzt schon seit zwei Monate jeden Tag Sonnenschein und wahrhaftig tropische Temperaturen. Ich habe mich an die Spagetti zum Frühstück gewöhnt und daran, dass es mehr Blackouts gibt als Strom, habe aus frisch von der Palme geernteten Kokosnüssen getrunken und kann mit Maniok, Yam und Kochbanane inzwischen mehr verbinden als nur ein Fragezeichen. Ich habe gelernt, dass das Schiff aus Port-au-Prince am Samstag ankommt und man hier deswegen am Montag einkaufen geht, wenn man frische Lebensmittel will und wie man auf Creol schimpft, am beliebtesten ist ,,Tetcharche‘‘, vorzugsweise verbunden mit einem heftigen Kopfschütteln. Ich war mit Père Raymond in den Bergen, um einen Gottesdienst mit den Bauern dort zu feiern, habe Prestige, das unangefochten beliebteste Bier in Haiti probiert und wundere mich nicht mehr, wenn es um halb 6 abends schlagartig dunkel wird. Ich habe Comparettes und Tom-Tom gegessen, hitzige Diskussionen zu den Entwicklungsperspektiven Haitis geführt, mich vor meinem Englischkurs erfolgreich blamiert als ich versucht habe, ihnen ,,Forever Young‘‘ vorzusingen und wurde von einem Wahlkampfbus des Präsidentschaftskandidaten Jude Celestin mitgenommen. Ich habe meinen Lieblingsplatz auf dem Dach des Foyers gefunden und genieße da jeden Abend den unbeschreiblich schönen Blick über die Dächer der Stadt und die Wellen des Meeres bis zum Horizont, erschrecke mich immer noch vor den riesigen Spinnen, die vorzugsweise immer da auftauchen, wo ich gerade steh und bin mit Bernade zu ,,Lolita‘‘ durchs ganze Presbytère St. Louis getanzt.
Leider gibt es auch eine andere, kaum in Worte zufassende Seite. Die Cholera ist inzwischen in Jérémie angekommen und Menschen sterben daran, selbst im Krankenhaus. Als wäre das nicht schon traurig genug, macht es so viel Angst, dass der Aberglaube die Leute einfängt. Diese Woche wurden drei Männer lebendig verbrannt, weil sie angeblich einen ,,Zauberpuder‘‘ hergestellt haben, von dem man behauptet, dass er jeden der mit ihm in Kontakt kommt, mit Cholera infiziert. Eine Bekannte von mir aus den USA hat die verkohlten Leichen auf der Straße liegen sehen.